Lyrikerin Ilse Weber
Geborene Herlinger 11. Januar1903 in Witkowitz (heute Vítkovice), damals Österreich-Ungarn – 6. Oktober1944 im KZ Auschwitz-Birkenau
Ilse Weber (geborene Herlinger) wurde am 11. Januar 1903 in Vítkovice, einem Stadtteil von Ostrava, geboren – einer Stadt im Nordosten der heutigen Tschechischen Republik. Obwohl Juden in Ostrava bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts nicht erlaubt waren, bildete sich dort eine feste Gemeinde.
Mit fünfundzwanzig Jahren veröffentlichte Weber ihr erstes Buch. Das ihrer Mutter gewidmete Werk „Jüdische Kindermärchen“ bestand aus fantasievollen Geschichten, die nach Angaben des Jüdischen Museums Berlin, bewusst in einem jüdischen Umfeld angesiedelt waren, um junge LeserInnen mit den damit verbundenen Werten, Religionen und Traditionen vertraut zu machen. Dabei erzählte Weber jedoch keine Geschichte, in der Kinder ein glückliches oder sorgloses Leben führen, sondern ließ ihre jungen Protagonisten in alltägliche Situationen geraten, die mit dem religiösen und familiären Umfeld zusammenhängen und in denen sie auf soziale Vorurteile und Ausgrenzung stoßen. Mit diesen Volksmärchen wollte Weber jüdische Kinder in die Lage versetzen, sich den Realitäten der Welt zu stellen und ihnen eine Quelle der Orientierung, des Schutzes und der Pädagogik bieten.
Das Leben von Ilse Weber und ihre Erfahrungen mit dem Holocaust haben ein bewegendes, intimes und herzzerreißendes Vermächtnis hinterlassen. Die in der ehemaligen Tschechoslowakei geborene Autorin, Sängerin und Liedermacherin zeigte viele kreative und musikalische Talente, bevor ihr Leben durch den Aufstieg des Nationalsozialismus während des Zweiten Weltkriegs gewaltsam unterbrochen wurde. Nachdem ihre Stadt 1939 vom Dritten Reich annektiert wurde, waren Weber und ihre Familie verschiedenen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt, die zu ihrer Deportation in das Ghetto und Konzentrationslager Theresienstadt führten, wo sie bis 1944 im Kinderkrankenhaus arbeitete und Gedichte und Lieder zur Unterhaltung der jüngeren Häftlinge schrieb. Als die Insassen des Kinderkrankenhauses Anfang 1944 in den Osten deportiert werden sollten, weigerte sich Weber, sie im Stich zu lassen und schloss sich freiwillig dem Transport in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau an, wo sie und ihr Sohn Tomáš ermordet wurden.
Ihr Mann Wilhelm jedoch überlebte den Krieg und schaffte es, die Gedichte und Lieder seiner Frau vor ihrer Deportation aus Theresienstadt in einem Gartenschuppen zu verstecken, um sie erst Ende 1945 wiederzufinden. Die „vergessene“ Stimme von Ilse Weber, die in ihren Liedern und wiedergefundenen Schriften erhalten ist, erinnert uns an den tragischen Verlust junger Talente, an den Beitrag jüdischer Künstlerinnen im Allgemeinen und an die Bedeutung von Kreativität als eine Form des geistigen Widerstands angesichts menschlichen Leids und menschlicher Verderbtheit.